THE GRID
Eine Kolumne von Bahadir Basdere, CEO Trench Group
Eine moderne Infrastruktur braucht mehr als Geld – wir müssen vor allem Talente fördern und binden
Deutschland steht am Beginn einer neuen industriellen Phase. Mit dem angekündigten Infrastrukturpaket in Höhe von 500 Milliarden Euro sendet die neue Bundesregierung ein klares Signal: Die Modernisierung unseres Landes hat höchste Priorität. Dazu gehören auch die Stromnetze: 26.000 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen sollen laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bis 2045 gebaut werden, um den Anforderungen der Energiewende und des künftig steigenden Strombedarfs gerecht zu werden.
Doch bei aller Freude über diese Investitionen gilt es, einen zentralen Punkt nicht zu übersehen: Geld allein wird die Energiewende und den Infrastrukturausbau nicht vorantreiben. Es sind die gut ausgebildeten Menschen, die diese Transformation tragen – und davon haben wir aktuell viel zu wenige. Die Fachkräftelücke beträgt in Deutschland laut Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) mehr als 600.000. Vor allem die Lücke an Expertinnen und Experten ist zu hoch: sechs von zehn offenen Stellen können momentan nicht besetzt werden.
Die Energiewende braucht Köpfe – nicht nur Kapital
In der Energiebranche spüren wir den Fachkräftemangel bereits heute. Der BDEW warnte bereits 2023 vor einem dramatischen Mangel an Fachkräften in Schlüsselbereichen wie Netzplanung, IT und Steuerungssystemen. Ohne qualifizierte Ingenieurinnen und Ingenieure, ohne motivierte Techniker und Spezialisten kann kein Windrad errichtet, keine Leitung gelegt und kein Speicher in Betrieb genommen werden. Mit anderen Worten: der limitierende Faktor in unserer Industrie ist aktuell das Personal!
Gerade für Unternehmen wie Trench, ein technologischer Hidden Champion mit einem ambitionierten globalen Wachstumskurs, bedeutet das: Wir brauchen Rahmenbedingungen, die es uns ermöglichen, Talente langfristig zu binden und neu zu gewinnen. Dazu gehört auch eine europäische Willkommenskultur, die kluge Köpfe aus aller Welt anzieht, statt sie abzuschrecken.
Deutschland droht den Anschluss im globalen Standortwettbewerb zu verlieren
Ein Blick auf die aktuellen Standortbewertungen ist ernüchternd. Laut dem DIHK-Stimmungsindex für Frühsommer 2025 bleibt die Stimmung bei den Unternehmen überwiegend schlecht. Besonders gravierend: Kein Indikator der aktuellen Umfrage unter mehr als 23.000 Unternehmen aus allen Branchen und Region ist positiv. Das ist ein Alarmsignal – für die Politik, aber auch für uns als Wirtschaft.
Wenn Deutschland ein attraktiver Standort bleiben will, müssen wir deutlich mehr tun, um Fachkräfte zu halten und Talente zu gewinnen. Es braucht klare, verlässliche Rahmenbedingungen: weniger Regulierung, attraktive Steuersätze, gute Infrastruktur. Gleichzeitig müssen wir das Bild Deutschlands als chancenreicher, innovationsfreudiger Standort neu beleben. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung entsprechende, dringend nötige Impulse setzen wird.
Talente finden Sinn – und Verantwortung
Eine wachsende Zahl junger Menschen wählt ihren Arbeitsplatz nicht mehr primär nach dem Gehalt, sondern nach Sinn und Perspektive. Hier liegt unsere Chance: Die Energiewende ist eines der bedeutendsten Projekte unserer Zeit. Wer daran mitarbeitet, gestaltet die Zukunft Europas mit – technologisch, ökologisch und gesellschaftlich.
Umso wichtiger ist es, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen, neue Bildungsformate zu etablieren und auch Quereinsteiger gezielt zu fördern. Führende Energieunternehmen haben diesen Wandel bereits begonnen.
Talente fördern heißt Unabhängigkeit sichern
In einer geopolitisch fragilen Welt wird technologische Souveränität zum strategischen Faktor. Abhängigkeiten in Energiefragen – ob bei Rohstoffen, Technologien oder Know-how – können nur durch eine kluge Kombination aus Innovation, Ausbildung und industrieller Umsetzung überwunden werden. Die jüngsten europäischen Allianzen in Bereichen wie Wasserstoff, Speichertechnologien und Netzinfrastruktur sind Schritte in die richtige Richtung. Jetzt gilt es, das Momentum zu nutzen.
In Talente zu investieren heißt, in Zukunft zu investieren
Die angekündigten Infrastrukturinvestitionen sind richtig und wichtig. Aber sie werden nur dann Wirkung entfalten, wenn wir gleichzeitig in die Menschen investieren, die diese Infrastruktur entwickeln, bauen und betreiben. Politik und Wirtschaft müssen gemeinsam ein Umfeld schaffen, das Leistung fördert, Vielfalt willkommen heißt und Exzellenz belohnt.
Im Kern geht es darum: Geld ist wichtig für den Fortschritt in Deutschland und Europa. Eine moderne Infrastruktur braucht aber mehr als Geld – wir müssen vor allem Talente fördern und binden. Denn ohne Menschen kein Wachstum. Und ohne Wachstum keine attraktiven Jobs.